2018 – Chao-Kang Chung
Perspektiven
18.02.2018 – 25.03.2018
Prof. Dr. Erich Franz
Die sanften Stufen des Erkennens und Entschwindens
Die Gemälde von Chao-Kang Chung stellen nicht nur Personen, Gegenstände, einen Innenraum, eine Landschaft dar, sondern sie stellen sich auch selber dar. Sie verwandeln das greifbare Objekt eines Bildes in optische Illusion. Der Rahmen, die Verglasung, auch eine Einfassung mit einer bläulich leuchtenden Neonröhre, eine Haube aus Plexiglas vor der Bildfläche, Fensterflügel mit Metallgriffen: all das gehört zum Körper des Bildes und ist doch „nur“ gemalt.
In der europäischen Malerei bildet meist ein Körper aus Leinwand auf Keilrahmen den materiellen Gegenpol zu jenem „bildlichen Sinn“, der „alles Faktische überbietet“ – Gottfried Boehm nannte diesen „Grundkontrast“ die „ikonische Differenz“. Bei Chao-Kang Chung verliert auch etwas so Elementares wie der rechteckige Bildkörper seine Faktizität. Er ist perspektivisch verkürzt, scheint in die Tiefe zu fluchten und gehört damit ebenfalls zur Illusion, die das Bild herstellt. Das Bild „reflektiert“ sich selbst: Es zerlegt sich vor unseren Augen in unterschiedliche Aspekte, die es malerisch vortäuscht.
Doch auch in einem anderen Sinn kommt die „Reflexion“ hier ins Spiel. Alles, was zu erkennen ist, erscheint teils gespiegelt und teils durchsichtig; oft verliert es sogar auf beiderlei Weise seine Eigenfarbe. Es taucht in Schleier von weißlich-grauer Helligkeit oder schwärzlich-blauer Dunkelheit ein. Zusätzlich verhindern die realen Reflexe des Firnisses, der die gesamte Malerei überzieht, eine sichere Feststellung des Dargestellten.
Diese illusionären Erscheinungen eines Bildkörpers, der alle faktische Verlässlichkeit verliert, gehen bruchlos in die Darstellung über: ein Raum, ein Tisch, eine Staffelei, ein in Arbeit befindliches Bild, der Künstler bei der Arbeit. Was man im Bild erkennt, gehört ebenfalls zum Realitätsbereich des Bildkörpers – und verliert wie dieser seine Verlässlichkeit. Das „reale“ Bildobjekt vereinigt sich unmerklich mit dem imaginierten Studio des Künstlers. Die Faktizität all dessen, was man oft nur mühsam erkennt, verschwindet im Schleier ungreifbarer Vorstellungen. Gehört auch die Existenz des Künstlers dazu, der eben dies hergestellt hat – das Werk, die sanften Stufen seines Erkennens und seines Entschwindens?
In den neuesten Gemälden löst Chao-Kang Chung auch noch auf, was für Jahrhunderte zur Substanz westlicher oder auch chinesischer Malerei gehört hatte. Im fünfteiligen Werk „Wenn die großen Meister keine Farben hätten“ verlieren die Kompositionen, die von Mondrian, LeWitt, Malewitsch, Stella oder Palermo stammen könnten, ihre Flächen, Konturen und Farben. Sie lösen sich auf in gespiegelte Transparenzen. Und in „Tetraptychon (Qingming-Rolle)“ verflüchtigt sich eine der berühmtesten Bildrollen der chinesischen Tuschemalerei in Ölfarbe und hinter verglasten Rahmen des europäischen „fenestra aperta“.
Dieser unausweichliche Verlust all dessen, was man als faktische Grundlage eines Bildes angesehen hatte, diese graduelle Auflösung zu grauem Licht oder dunkler Tiefe: bedeutet sie nicht letztlich – vielleicht – auch wieder einen faszinierenden Gewinn?
Gerd Blum
Aristo Prolo. Der Künstler als Arbeiter. Chao-kang Chungs Malerei über Malerei
Spiegel und offenes, geöffnetes Fenster sind seit Leon Battista Albertis Traktat über die Malerei von 1435/36 häufige Metaphern und Modelle für das neuzeitliche Gemälde – für die neue, zentralperspektivisch konstruierte Malerei, die täuschend eine auch außerbildlich vorhandene Wirklichkeit nachbilden soll. Fenster und Spiegel stehen für das Phantasma einer verlustfrei abbildenden und bei aller Illusion doch wahrhaftigen, auf sichtbare Wirklichkeit bezogenen Malerei.
Chao-Kang Chung bezieht sich auf beide Modelle, Spiegel und Fenster. Seine Gemälde ahmen Spiegelbilder und Fensterblicke nach. Der gesamte Bildträger spiegelt. Überdies scheinen wir öfter nicht auf ein Gemälde, sondern durch das spiegelnde Glas zeitgenössischer Displays, zeitgenössischer Derivate des Fensters, zu blicken: auf, in und durch Vitrinen und Schaufenster (s. A. Friedberg, Window Shopping: Cinema and the Postmodern, Berkeley, Los Angeles 1993).
Doch während diese Derivate der „fenestra aperta“ Albertis (auf das sich noch Bill Gates’ Programm Windows angeblich mit seinem Namen beziehen soll) beim “window shopping“ in den Städten und Shopping Malls die Objekte der Begierde klar und deutlich präsentieren, verwirrt der Blick auf die Gemälde Chungs. Listig überlagert Chung die Illusionen von Spiegelbildern und Fensterblicken, die Verführungen spiegelnder Flächen und durchsichtiger Räume. Das Ergebnis ist nicht die Illusion von noch mehr Transparenz, sondern verwirrende Intransparenz. Vieles an Gegenstand und Figur, das erkennbar virtuos, mittels viel Arbeit und Eifer auf die hermetisch versiegelt-verspiegelten Flächen gemalt wurde, erkennt man nicht. Chung hat massive Störungen des Illusionismus eingebaut. Er schafft eine Bildlichkeit, die den neuzeitlichen Illusionismus der westlichen Malerei fortschreibt, die aber auch – nicht zuletzt durch störende Reflektionen – eine Reflexion auf die Unwirklichkeit des Bildes und die Listen der Maler eröffnet.
Zugleich kann sich der ruhige Blick der Betrachterinnen und Betrachter jenen Bildbereichen zuwenden, bei denen auch bei genauestem Hinsehen nichts zu erkennen war. Sozusagen erblindete Spiegel- und Fensterblicke überlagern sich hier zu Farbflächen und -schleiern, in denen sich Transparenz und Intransparenz atmend zu verweben scheinen. Dies erinnert an ältere Metaphern der Malerei, etwa die berühmte Spiegel-Metapher im ersten Korintherbrief (vgl. K. Krüger, Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien, München 2001; G. Wolf: Schleier und Spiegel. Traditionen des Christusbildes und die Bildkonzepte der Renaissance, München 2002).
Auch rückt Chung ständig einen Akteur, der sowohl im perspektivischen Gemälde als auch in der Warenwelt der scheinbar transparenten Displays unsichtbar bleibt, in den Blick: den Maler, den Produzenten, sich selbst. Der Maler erscheint nicht als aristokratischer Meisterdenker, wie in Vermeers Malkunst oder in Velasquez’ Atelierbild der Meninas. Chung zeigt sich als Arbeiter, nicht als traditionellen Handwerker, sondern eher als Facharbeiter, wie einen Anstreichergesellen im Akkord. Aristokratisch ist auch bei Chung die Ironie und Skepsis eines selbstreflexiven Meta-Malers; proletarisch hingegen erscheint der Künstler als Macher (so in der Serie Der Künstler in seinem Atelier).
Nicht nur verbindet Chung zentrale Topoi der Selbstreflexivität der Renaissance-Malerei (Fenster, Spiegel) mit weit älteren Traditionen der christlichen Malerei (mit der vera icon hat er sich in einer früheren Arbeit beschäftigt). Er konfrontiert auch die scheinbare Aseptik und Sterilität der Hochkunst für den White Cube mit den Mühen des Machens.